Es gibt Erlebnisse, die mich nicht los lassen. Ein solches Erlebnis waren die Friedensmärsche der frühen 70iger Jahre. Bei diesen Veranstaltungen habe ich oft versucht, mir darüber klar zu werden, warum und wer Feindbilder aufbaut, um Waffen zu bauen, mit denen man dann den vermeintlichen Feind in Schach hält. Die Menschen produzieren Vernichtungswaffen zum angeblichen Schutz der Bürger bzw. der heimischen Bevölkerung.
Doch schaut man tiefer, so stellt man fest, dass es dabei nur um die Machtbesessenheit Weniger geht, die als Herren Menschen sich das Volt unterwerfen und sich hörig machen. Bei den Friedensmärschen haben sich diese Gedanken tief in meinem Inneren festgesetzt. Sie erhielten neue Nahrung während einer Fahrt mit meiner Mutter zu ihrem 80igsten Geburtstag durch die Normandie. Es war das eindrücklichste Erlebnis mit meiner Mutter, welches ich nie vergessen werde.
Großer Wunsch meiner Mutter war gewesen, das Grab ihres Patenonkels in der Normandie zu besuchen, der in den letzten Kriegstagen des ersten Weltkrieges im Jahre 1918 bei Ecoust-Sain-Mein gefallen war. Weder ihr Vater, um dessen Bruder es sich handelte, noch meine Mutter hatten die Möglichkeit, dorthin zu fahren und an seinem Grab zu trauern. Es waren die Zeiten der großen Inflation, der diktatorischen Zeit Adolf Hitlers, des zweiten Weltkriegs und der darauffolgende Wiederaufbau sowie der frühe Tod meines Vaters, die meine Mutter daran hinderten, das Grab zu besuchen.
Zum 80igsten Geburtstag habe ich meiner Mutter eine Fahrt in die Normandie geschenkt und habe mit ihr das Grab des Patenonkels Peter Werner besucht. Über die Kriegsgräberfürsorge hatte ich heraus gefunden, wo sich das Grab mit den sterblichen Überresten ihres Patenonkels befand. Der Soldatenfriedhof befindet sich in Ecoust-Saint-Mein, Normandie. Er liegt am Rande des Ortes und ist als Friedhof hervorragend gepflegt.
Während unseres Besuchs schien die Sonne und eine Reihe japanischer Kirschbäume standen in voller Blüte. Dieser Anblick hat die innere Aufruhr meiner Mutter, nun endlich am Ziel eines langgehegten Wunsches angekommen zu sein, beruhigt. Dabei spielte die Tatsache eine große Rolle, dass nun die angeblichen früheren Feinde den Friedhof wie einen Paradiesgarten pflegten.
Die Fahrt durch die Normandie war eine Fahrt in die Vergangenheit. Die Landschaft ist relativ flach bis leicht hüglig. Auf den meisten dieser Hügel befinden sich in kleinen Baumgruppen Kriegsgräberanlagen. Dort liegen junge Männer, die in den besten Lebensjahren durch Kugeln, Splittern und Granaten getötet wurden aus der ganzen Welt. Sie kamen aus Frankreich, Deutschland, England, Kanada, Neu Seeland, USA, Australien und vielen Ländern Afrikas.
Auf dem Soldatenfriedhof in Ecoust-Saint-Mein liegen die Gebeine des gesuchten Patenonkels in einem Massengrab, friedlich neben ehemaligen Feinden! Die Anlage ist gepflegt und vermittelt den Eindruck von Ruhe sowie Frieden. So stellt sich die Frage: „Ist Frieden nur im Tod möglich?“
Meine Mutter bestand darauf, jeden Soldatenfriedhof, der an unserem Weg lag, zu besuchen. Auf allen Friedhöfen ging meine Mutter von Grab zu Grab und las von den Kreuzen und Steinen das Alter der jungen Menschen, die dort begraben lagen, laut vor:
21 Jahre – 24 Jahre – 29 Jahre – 30 Jahre
Am Tag darauf besuchten wir einen Soldatenfriedhof aus dem zweiten Weltkrieg, auf dem 44.000 junge Männer aus dem zweiten Weltkrieg begraben lagen. Auch auf diesem Friedhof ging meine Mutter in gebückter Haltung von Grab zu Grab und las von jedem Stein nur das Alter der Gefallenen, die in den Kämpfen sinnlos ihr Leben gelassen haben, von Kugeln oder Granaten zerfetzt wurden.
Sie ging von Stein zu Stein und Kreuz zu Kreuz und las nur jeweils das Alter vor:
20 – 32 – 24 – 25 – 18 – 20 – 28 Jahre
Am Ende dieses riesigen Gräberfeldes ist eine Natursteinmauer errichtet worden, auf der in aufgesetzten Buchstaben geschrieben steht:
„Hier liegen unsere Deutschen Helden“
Als wir dort angekommen waren, richtete sie sich auf und blieb eine Weile stumm vor der Mauer stehen. Dann drehte sie sich zu mir um und fragte mich: „Glaubt du wirklich, dass sich einer von denen, deren Gebeine hier liegen, als Held gefühlt hat, als er erschossen und verstümmelt im Dreck gelegen hat?“ Die Tränen standen in ihren Augen. Dieses Erlebnis und diese Fahrt haben mich bis zum heutigen Tag sehr getroffen und belastet und meine Einstellung zum Krieg und Heldentu m grundlegend verändert.
Eine zweite Begebenheit zu dem Thema Heldentum, das mich nachhaltig prägte, war ein Jahr später der Besuch des Invalidendoms in Paris mit der Besichtigung des Grabmals von Napoleon in seinem monumentalen Marmor-Sarkophag. Ein Monument, das die Taten eines Diktators und Mörders verherrlicht. Nur weil er in seinem Größenwahn Kriege und Zerstörung, Hunger sowie Not unter der Bevölkerung verursachte und hunderttausende von Menschen sinnlos der eigenen Herrschsucht willen den Tod brachte, sie töten und hinschlachten lies.
Sein Glanz ist einhergehend mit allen Diktaturen sowie Kriegstreibenden, Königen und Kaisern sowie Wilhelm dem Ersten, Adolf Hitler, Mussolini, Stalin, Franco und vielen mehr. Auch sind Kriegsführende Kirchenführer, Päpste und Bischöfe nicht ausgeschlossen. Wer sich mit diesen angeblichen Führern und geschichtlich verbrämten Helden auseinandersetzt, erlebt wie sie tausende Menschen in den Hunger, Armut, Verwüstung und Tod hetzten.
Im Anschluss an den Besuch des Napoleon Grabs war ich im Hotel „De invalides“ unmittelbar hinter dem Invalidendom. Dort habe ich Menschen im Alter von Ende 20 bis Mitte 40 Jahren angetroffen; ehemalige französische Soldaten und Legionäre, die von ihren Befehlshabern in sinnlose Kämpfe und Patrouillen geschickt und dabei verstümmelt wurden. Für ihre Hörigkeit, das entstandene Leid sowie Verkrüppelungen sind sie nun Helden der französischen Ehrenlegion und der Rest ihres Lebens Krüppel bis zum erlösenden Tod.
Einer dieser heldenhaften Hünen ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Von dem durchtrainierten stolzen Menschen ist offensichtlich durch eine Mine nur noch ein Torso übrig geblieben, ohne Beine und nur noch mit Teilen der Oberarme. Er war in einem Rollstuhl gefesselt, damit er nicht heraus fallen konnte. Sein Blick war starr, stumpf und mutlos. Das ist das Heldentum, das von gewissenlosen Politikern für niedrige Machtansprüche korrumpiert wurde. Hörige Militärs treiben Massen an einfach rekrutierten Soldaten in Kämpfe mit den perfiden Vernichtungswaffen gegen die Sprengmienen wie Spielzeuge wirken.
Um meine Erlebnisse zu verarbeiten, habe ich die Skulpturen „Der Antiheld“ und „Die Gegensätze“ begonnen. Es sind Skulpturen, die sich an alle Menschen richten, aber vorrangig an die Jugend, junge Frauen und Männer.
Es geht darum, aufzurüsten und nachdenklich zu machen. Ein Beitrag, der vielleicht ein wenig Frieden unter den Menschen und Völkern stiften könnte. Im Tod sind Freund und Feind gleich und liegen friedlich nebeneinander im gleichen Grab wie der Patenonkel meiner Mutter. Warum können wir Menschen im Leben nicht den gleichen Frieden praktizieren?
Unsere Welt ist groß und reich an Bodenschätzen und Nahrung, so dass bei sinnvollem Umgang damit kein Mensch zu hungern braucht. Glück bedeutet innere Ruhe, Überwindung von Neid und Hass und nicht übermässigen Reichtum. In meinem Leben habe ich viele reiche und auch sehr reiche Menschen kennen gelernt. Ausgeglichen und glücklich waren jedoch nur die Menschen, die zu sich selbst, der Liebe und der inneren Ruhe gefunden haben.
Kriege dienen nur gewissenlosen kaltherzigen Herren Menschen, die ich-bezogen sind, sich Menschen und Völker zu Sklaven machen wollen. Hier kommt mir ein Gedanke aus der Bahai-Religion mahnend ins Gedächtnis:
„Gott hat alle Menschen aus Erde gemacht, damit sich keiner über den anderen erhebe“
Auch Jesus Christus hat uns ein Gebot mit auf unseren Lebensweg gegeben und damit aufgezeigt, wie Friede und Ruhe unser Leben größer und glücklicher machen kann:
In der Nacht, als Judas Jesus Christus an die hohen Priester verraten hat, rief er seine Jünger zu sich und sagte zu ihnen: „Ein neues Gebot gebe ich euch, liebet untereinander so, wie ich euch geliebet habe, auf dass jedermann erkenne, dass ihr meine Jünger seid.“
Das Gebot der Liebe umfasst alle Gebote und war an alle Menschen dieser Welt ohne Ausnahme gerichtet. Denn er hat seine Jünger gebeten, dieses, sein letzes Gebot in die Welt zu tragen und den Menschen mit auf ihren Lebensweg zu geben. Es gilt ohne Ausnahme für alle Religionen. Nur wer die Liebe lebt, lebt in Frieden und kann auf Erden Glück erfahren. Für mich bedeutet dies, jeden Tag ein ständiges Ringen, den Weg zur Liebe zu finden.
Ich arbeite an den Skulpturen „Der Antiheld“ und „Die Gegensätze“ in der Hoffnung, dass sie wenigstens einen Menschen zum Denken anregen. Vielleicht meine Frau, meine Schwiegertöchter und Söhne, meine sechs Enkelkinder oder Freundinnen und Freunde. Doch gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass sie junge Menschen anspricht. Dann hätte sich meine Arbeit gelohnt.
Der Verteidigungshaushalt für Deutschland beträgt für das Jahr 2019 43.200.000.000,00 Euro bei 80 Millionen Bürgern. Der Verteidigungshaushalt weltweit betrug im Jahr 2018 1,82 Billionen US-Dollar. Wobei von Regierungen verschleierte Milliarden in dieser Summe nicht eingerechnet sind; dies bei einer Weltbevölkerung im Jahr 2018 von 7,63 Milliarden Menschen.
Würde es die Menschheit schaffen, nach dem letzten Gebot Jesus Christus zu leben „Liebet untereinander sowie ich euch geliebt habe“ (Johannis 18. Vers.) könnten mit den 1,82 Billionen US-Dollar Verteidigungskosten weltweit das Elend auf Erden ausgerottet und beendet werden. Es gäbe keine hungernden Menschen mehr auf Erden!
Königstein, den 11.11.2019